Stefan à Wengen The Power of Love im Ratinger Museum
Lothar Adam
Beim Betrachten der Affenbildnisse von Stefan à Wengen kommt mir Franz Kafkas satirischer „Bericht für eine Akademie“ von 1917 in den Sinn. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines Affens, der bei einer Expedition der Firma Hagenbeck gefangen wurde. Er berichtet den Hohen Herren einer Akademie, wie er in „die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat“. Bemerkenswert ist aber, dass der Affe trotz aller Lernanstrengungen dennoch durch sein unverändertes körperliches Äußeres – den Pelz – auf den ersten Blick eben nach wie vor ein Affe ist.
Sicherlich kannte der 1964 in Basel geborenen und heute in Düsseldorf lebende Maler Stefan à Wengen, der 2023 seinen ersten Roman „Die Einäscherung eines Esels“ veröffentlicht hat, diese Erzählung, als er bekannte Porträts der Kunstgeschichte durch Affenköpfe verfremdete.
Bezugsbild ist in diesem Fall ein Bildnis von Jan van Eyck: Das Bildnis des Giovanni Anolfini.
In dem kleinen Bild, nicht viel größer als ein Tablett, senkt ein junger Mann etwas schüchtern den Blick, als wolle er den Betrachter nicht anschauen.
Bei à Wengens Bildnis ist der Bezug zur Vorlage v.a. durch die gleiche rote Kopfbedeckung gegeben. Doch der Hintergrund wird aufgehellt, die Kleidung bekommt eine feierliche schwarz-blaue Tönung, aber v.a. werden Kopfhaltung und der Blick verändert. Leicht amüsiert, aus großen dunklen Augen, die die Lichtreflexe widerspiegeln, schaut uns ein selbstzufriedenes Affengesicht an.
Hinzu kommt die Dimension des Bildes: Es ist rund dreimal so groß wie sein Vorbild und wirkt damit repräsentativer als das in vieler Hinsicht bescheidenere Vorbild. Gerade durch diese Veränderungen hin zum repräsentativen Herrscherporträt bekommt das Bild eine satirisch humorvolle Note, ohne die tiefer gehende Frage, was den Menschen vom Affen unterscheidet, zu verunklären.
Tiere stehen auch bei anderen Bilder der Ausstellung im Zentrum:
An Andy Warhols bildnerische Verarbeitung von bekannten Alltagsmotiven erinnernd, zeigt uns der Maler ein Nashorn, das Dürers „Rhinocerus“ von 1515 zitiert. Doch liegt diesem Motiv eine bewegende persönliche Begegnung im Baseler Zoo zugrunde, wie à Wengen erzählt. „Das Nashorn schaute mich direkt an. In diesem Augenblick ist Empathie entstanden“ – wodurch der unerwartete Bildtitel verständlicher wird.
Ein Auswahlprinzip des Malers wird erkennbar: Es werden bekannte Bildmotive verarbeitet, die aber einen subjektiv hohen biografischen Stellenwert haben. Der oben schon aufgetauchte Affen entspringt, wie auch das folgende Bild, Begegnungen, die á Wengen bei seinen Reisen durch den Dschungel gemacht hat.
Auch auf diesem Bild, das mit seiner reduzierten Farbigkeit und seinem ungewöhnlichen Blickwinkel (Ist der Kopf des Betrachter gerade aus dem Fluss aufgetaucht?) eine alptraumhafte Szenerie heraufbeschwört, fehlen Menschen. Ist in dieser Szene immerhin ein von Menschenhand (wahrscheinlich) gesteuerter Einbaum zu erkennen., so fehlt bei den großen schauderhaft schönen Adaptionen von Böcklins Toteninsel der Nachen, auf dem sich eine schneeweiß verhüllte, stehende Gestalt, ein ebenfalls schneeweißer Sarg und ein Ruderer befinden. Eine posthumane Endzeitstimmung wird evoziert und die Frage, ob die angedeutete Architektur oder die Zypressen das aufziehende Unwetter besser bzw. länger überstehen werden.
Mein Lieblingsbild der Ausstellung ist gleich im Eingangsbereichs des Museums zu finden:
Das Bezugsbild „Der heilige Hieronymus im Gehäus“ ist ein Kupferstich Albrecht Dürers aus dem Jahr 1514. Übrigens: Die Vulgata, die bedeutendste Übersetzung der Heiligen Schrift in Latein, geht auf Hieronymus zurück.
Hat schon Dürer den Heiligen in die hinterste Ecke des Zimmers verbannt, so verzichtet à Wengen ganz auf ihn und konzentriert sich auf den Löwen im Vordergrund.
Die Legende erzählt folgende Begebenheit:
Eines Abends, als Hieronymus mit seinen Mitbrüdern im Garten seines Klosters in Betlehem saß, kam ein Löwe hinkend daher. Alle erschraken, doch Hieronymus nahm den Löwen freundlich auf. Er sah den Dorn, der ihm in der Tatze schmerzte, und zog ihn heraus. Die Mönche pflegten den Löwen und dieser blieb im Kloster wie ein Haustier.
Aber auch auf einer weiteren versteckten ikonografischen Ebene gibt es Berührungen zu Dürers Stich. Der Blick von Hieronymus zielt über das Kreuz auf dem Tisch hinweg auf den Totenschädel auf der Fensterbank. Mit der Sanduhr an der Wand ist damit das Thema Tod versus ewiges Leben durch Christus angesprochen. Fast verspielt nimmt à Wengen das Thema auf, indem er den Löwen einem Schmetterling, ein Symbol für die unsterbliche Seele, nachblicken lässt.
Neben diesen symbolischen Bezügen sind es aber v.a. die Kombination der einzelnen Bildelemente und ihre Anordnung im Raum, die den besonderen Reiz des Bildes ausmachen. Zunächst gibt die einfache Frage, wo wir uns überhaupt befinden, Rätsel auf: Ein schwarz-weiß (?) gemusterter, schachbrettartiger Fliesenboden vor einem Vorhang lässt vielleicht an eine Bühne denken, doch dann wäre der Zuschauerraum hinter dem Vorhang. Der Löwe verlässt die Bühne vor seinem Auftritt? Auf jeden Fall scheint ihn der Schmetterling, der merkwürdigerweise in diesem Innenraum flattert, mehr zu interessieren. Der König der Tiere und der zerbrechliche Schmetterling: ein kurioses Paar. Ich muss zugeben, ich kann mir keinen Reim auf die Szene machen, aber sie beschäftigt mich, und ich komme bei der Frage, was sich hinter dem Vorhang befindet, zu keiner beruhigenden Vermutung. Vielleicht wäre es Kafka gelungen, aus dieser Szene einen in sich kohärenten Text zu machen, zumal Jizchak Löwy, ein jüdisch-polnischer Schauspieler, ein enger Freund von ihm war.
Was bedeutet eigentlich die Klammer im Bildtitel (D.T.M.C.)? Dedicatet to my cat!