Oktopusse, Fische und Tomaten: Miquel Barcelós "Vida y muerte"
Eine sinnliche Ausstellung im Museum Küppersmühle
Klaus Peter Busse
Woher kenne ich diesen Maler, dessen Name bei dem Besuch seiner Ausstellung in Duisburg in meinen Erinnerungen herumschwirrt? Die documenta 7, wo er 1982 ausstellte, habe ich nicht besucht. Das kann es nicht gewesen sein. Die Suche in meinem Archiv bestätigt es: Ein Gemälde hatte ich in der Ausstellung „Terra Motus“ gesehen, die der berühmte Galerist Lucio Amelio 1987 in Neapel eingerichtet hatte. Bilder heute immer noch sehr prominenter Künstler wie Andy Warhol, Joseph Beuys und Cy Twombly trafen dort auf Werke von Malern der jüngeren Generation, um künstlerisch über das Erdbeben in diesem süditalienischen Raum zu arbeiten. Der Spanier Miquel Barceló zeigte in dieser Ausstellung ein großformatiges Gemälde mit dem Schatten einer Figur, die über der sich bewegenden Erde (terra motus) taumelt. In einem Interview sagte er damals, dass es hierbei um ein Auto-Portrait handle, in dem er sich selbst beim Malen zeige. Jede Ordnung werde durch die Erdbewegung zerstört. Es scheint, als ob Miquel Barceló seinen Kollegen Cy Twombly dargestellt hätte, der auch ein Bild zur Ausstellung beitrug. Dort zeichnete Twombly auf dem Boden liegend die Energie dieser Zerstörung, die in den Linien auf dem Papier seiner Arbeit vibriert, und die Betroffenheit von der Katastrophe im neapolitanischen Raum. Die Ausstellung wurde zu einem Bild der Gefahren durch die Kräfte der Erde, die man seit dem Untergang Pompejs kennt und die in Neapel allgegenwärtig ist. Die Ausstellung war aber auch eine Gelegenheit, die ganze Bandbreite der Malerei in den 1980er-Jahren zu zeigen. Miquel Barcelós Werk gehörte dazu, und es entwickelt sich bis heute in beeindruckender Weise. Erde, Boden, Material und Energie sind die wichtigen Themen seiner Malerei, und offensichtlich haben seine Bilder einen strengen Bezug zur Welt, die er sieht und in der er lebt. Man liest im sehr schönen Katalog der Ausstellung, dass Barceló Cy Twombly damals in seiner römischen Heimat besucht hat. Er muss eine Verwandtschaft der künstlerischen Interessen gespürt haben: ein Ereignis nicht nur abzubilden, sondern die Empfindung der Energie dieses Ereignisses in ein Gemälde zu übertragen. In Barcelós Werken, die in Duisburg gezeigt werden, sieht man das in jeder malerischen Geste.
Die Malerei Spaniens ist ohne den Bezug zur Landschaft, zum Leben dort und zu seiner kulturellen Geschichte wohl kaum zu verstehen. Man muss nicht immer die Bilder Picassos erwähnen, um darauf hinzuweisen. Auch die Malerei von Antoni Tapiés, dem anderen großen Maler Spaniens, arbeitet mit den biografischen Bezügen des Lebens in einer mediterranen Welt. Im Werk von Miquel Barceló treten sie ganz banal als das auf, was man dort kocht: Paella, Fische, Oktopusse, Obst und Gemüse. „Suppen. Vielleicht sind alle meine Bilder Suppen,“ sagt er selbst über seine Bilder. Damit meint er zweierlei: was er in seinen Stilleben darstellt und wie er dies in seine Gemälde überträgt.
Denn seine Bilder leben nicht nur von den Eindrücken, die Schwertfische, Hunde und Zitronen in seinem Werkprozess hinterlassen haben. Barceló ist ein sehr guter Maler, der seine Welt akribisch mit einem Hang zur Verfremdung erfasst. Man meint, dass die Tiere vor dem Betrachter liegen, ja sogar ihren eigentümlichen Geruch verbreiten, den man aus dem Markthallen Mallorcas kennt, der Heimat des Künstlers. Er verfügt über alle handwerklichen Repertoires der gegenständlichen Malerei, aber zugleich spürt man, welche Rolle das Material spielt, mit dem er arbeitet. Manchmal ist es dicke Farbe, die er anrührt und aufträgt (als ob eine Suppe oder einen Eintopf umrührt). Er sagt, dass „es die Materialien sind, die ein Bild hervorbringen“. Hier spricht er wie Tapiés, der ältere spanische Kollege, mit dem er schon gemeinsame Ausstellungen hatte. Aus ganz unterschiedlichen Substanzen hergestellt, wirkt der Farbauftrag wie ein Brei im Gegensatz zu feinen farbigen Lasuren, und der Betrachter rätselt, wie Barceló diesen Farbbrei („mixed media“) angerührt hat. Diese Form der Dingdarstellung trifft auf raffiniert komponierte Bildräume mit außergewöhnlichen Raumansichten. „Gran cena espanola“ von 1985: Das Abendessen auf einem spanischen Ofen ist in Pfannen angerichtet. Die Ausstellung in Duisburg ist ein Abenteuer für die Sinne.
Wie aus dem Material die Dinge der Malerei entstehen, zeigen auch Miquel Barcelós Skulpturen, die im Umgang mit Ton und mit der formenden Hand entstehen. Wie kaum in einem anderen künstlerischen Werk versteht man den Übergang von der Malerei in die Skulptur so gut wie hier. Wie die malende Hand die Farbmasse anrührt und verteilt, umfassen die bildhauerischen Hände den Tonklumpen und drücken die Figuren aus der feuchten Masse heraus. Es muss aufregend sein, den Künstler bei der Arbeit zu beobachten. Im Katalog zur Ausstellung zeigen Bilder, wie wild es dort im Atelier zugehen muss.
In Duisburg sind auch wenige Künstlerbücher zu sehen, an denen Barceló gearbeitet hat: dickleibige Konvolute mit Malereien voller Geheimnisse, denn man sieht nur zwei aufgeschlagene Bücher. Schade eigentlich, denn in solchen Büchern verbergen sich in vielen Fällen die Spuren der künstlerischen Arbeitsweise. Vielleicht hätte man diesem Werkteil mehr Aufmerksamkeit widmen sollen, um den Werkprozess des Künstlers zu zeigen. Aber daran könnte der Kurator noch arbeiten. Es wäre für viele Besucher und Besucherinnen hilfreich, hinter diese verborgenen Kulissen zu schauen.
Die künstlerische Arbeit von Miquel Barceló war bislang sehr erfolgreich. In Palma de Mallorca und in Genf hat er raumgreifende Arbeiten an wichtigen Orten geschaffen, seine Ausstellungsliste ist lang und prominent. Es ist überraschend, dass er im deutschsprachigen Raum selten ausgestellt wurde. Umso erfreulicher ist die Ausstellung in Duisburg, die hoffentlich ein Impuls für weitere Präsentationen ist. Zeitgleich zeigt übrigens die Böhm-Kapelle in Köln einige seiner Arbeiten.
Die Ausstellung läuft noch bis zum
19. Januar 2025!