Die Duisburger Küppersmühle präsentiert:
Lothar Adam
Passage – mehrsprachig lesbar als Durchgang, Durchfahrt, Überfahrt, Abschnitt eines Textes – ist der Titel der ersten großen Einzelausstellung (mit über 400 Werken) in Deutschland, die der international bekannten Künstlerin Susan Hefuna gewidmet ist.
Selten eröffnet ein Ausstellungstitel so viele Perspektiven wie dieser Fall:
Die Herkunft: Susan Hefuna (geboren 1962) sieht sich als Wanderin zwischen Welten. In ihrem Lebensweg ist sie von der väterlicherseits bestimmten Kultur Ägyptens ebenso geprägt wie von der westlichen Welt ihrer mütterlichen Herkunft aus Deutschland. In Ägypten halte man sie für eine Deutsche, in Deutschland für eine Ägypterin – sagt sie selbst.
Die Arbeitsweise: Die Künstlerin liebt es, ziellos durch Städte wie Kairo, Istanbul oder New York zu schlendern – vergleichbar dem Flaneur in Walter Benjamins „Passagen-Werk“, der in den 1920er Jahren durch die überdachten Pariser Ladenpassagen schweift. Dann folgt häufig eine dreimonatige Arbeitsphase der Künstlerin, in der sie die gewonnenen Eindrücke möglichst direkt – ohne Vorzeichnungen – in Zeichnungen einfließen läßt. Hierbei geht es Susan Hefuna nicht um realistische Abbildungen des Erlebten, auch wenn gelegentliche Anspielungen an z. B. Gebäudeöffnungen, Häuserschluchten, Hochhäuser, Strommasten, Brücken oder Wiesen aufzutauchen scheinen. Gerade die Übergänge von konkreten zu abstrakten Formen, von architektonischen Elementen zu geometrischen Mustern reizen sie.
Zum Beispiel wären Bezüge zur Schweiz – verriet die Künstlerin im Pressegespräch – im folgenden Bild möglich.
Häufig liegen (auch mithilfe von Transparentpapier) mehrere Schichten von Zeichenmustern übereinander. Ein Grundelement vieler Zeichnungen könnte als Netz oder Gitter beschrieben werden (dazu unten mehr), wobei eine gewisse Räumlichkeit suggeriert wird. Selbst auf einzelnen Blättern können ganz unterschiedliche formale Elemente und Techniken kombiniert werden: Bleistift, Farbstift, Aquarell, einfarbig, zweifarbig, Tuschfeder, Pinsel, Linie, Fläche, Schrift, Faden, Filz und Baumwolltücher.
In ihren Bildern tauchen auch Wörter und Satzfragmente auf, die beim Gehen gesehen und gehört wurden. Im folgenden Bild z. B. ist ein Bezug zu Obdachlosen in New York möglich, wo Susan Hefuna mehrere Monate in Spanish Harlem lebte.
Die Präsentation: Häufig sind mehrere Zeichnungen in Blöcken ganz nah nebeneinander gehängt. Betrachtende lassen den Blick schweifen, gehen vor, gehen zurück, um Gemeinsamkeiten und Abweichungen zu erkennen. Der serielle Charakter ihrer Zeichnungen erinnert an Konzeptkunst.
Scheint in der folgenden Serie Sonnenlicht durch kleine Risse in den Holzdecken von Sharjah (Emirat)?
Eine Inspirationsquelle aus der traditionellen ägyptischen Architektur sind für die Künstlerin die ornamental aus Holz gedrechselten und geschnitzten Fenstergitter und Paravents: die Maschrabiyyas. Sitzt man im Haus vor ihnen, kann man zwar die hektischen Geräusche von der Straße hören, die Luft wird ausgetauscht, man selbst ist aber vor neugierigen Blicken geschützt. Maschrabiyyas trennen Innen und Außen, aber auch – in vom Islam geprägten Gesellschaften – Männer von Frauen. Es entsteht ein Ort, der mit seinen Übergängen eine fruchtbare Ausgangsbasis für das Entstehen von Kunst sein kann, an dem – in einer vielleicht leicht meditativen Stimmung – inneres Erleben und äußere Einflüsse direkt in künstlerische Tätigkeiten übergehen können.
Auf diese Gitterpaneelen nehmen einige Arbeiten der Ausstellung, die von ägyptischen Handwerkern gedrechselt wurden, direkt Bezug. Dabei sind die Wörter nur zu erkennen, wenn man nicht zu nahe an sie herantritt. „Cairo“ bedeutet im Arabischen „die Bezwingerin“ oder „die Siegreiche“.
In vielen Zeichnungen sind die Netz- oder Gitterstrukturen als Echo auf diese Maschrabiyyas zu lesen.
In der Ausstellung werden auch Fotografien von Susan Hefuna gezeigt, die sie in den 90er Jahren in Ägypten mit der altertümlichen Technik einer Lochkamera selbst gemacht hat.
Ein besonders ausgeleuchteter Raum zeigt große, erstaunlich zarte, dreidimensionale „Käfige“ aus Palmholz (Afaz). In ihm wird durch Licht-und-Schatten-Wirkung eine geheimnisvolle Atmosphäre erzeugt. Strukturen werden auf dem Boden sichtbar, die wiederum Verbindungen zu den Zeichnungen von Susan Hefuna ermöglichen. Die von ihr ohne Nägel und Kleber zusammengebauten Afaz sind als flexibles Außenmöbel in Ägypten allgegenwärtig.
Ein weiterer Raum der Ausstellung überrascht mit textilen Arbeiten, die durch kräftige Farben auffallen. Von Hefuna entworfene Kleidungsstücke und große Taschen, die zuweilen von der Künstlerin oder anderen Protagonisten (wie im Vorfeld dieser Ausstellung) vorgeführt werden, tragen einzelne Wörter oder Satzfragmente; damit widersprechen sie konventionellen Modevorgaben. Einige sind entstanden im Rahmen ihres Aufenthalts in Abu Dhabi, als der Künstlerin auffiel, dass die dortigen Frauen die Labels von Modefirma demonstrativ auf ihren Kleidungsstücken trugen. Die verwendete Baumwolle hat biografische Bezüge zur Familie ihres Vaters. Das Auftragen von farbenfrohen Mustern auf Stoffbahnen nimmt Bezug auf die ägyptische Tradition, Zeltinnenräume zu besonderen Anlässen zu schmücken.
Die sehr lohnenswerte Ausstellung zeigt, wie eine große Künstlerin die Herkunft aus verschiedenen Kulturen nutzt, um ein Zeichenrepertoire zu entwickeln, das einerseits Individualität und Unverwechselbarkeit garantiert, andererseits so flexibel ist, dass neue Eindrücke aufgenommen und künstlerisch verarbeitet werden können.
Streifen Sie als Flaneur durch die Ausstellung und lassen Sie Ihre Phantasie durch die Offenheit und Fragilität der abstrakt anmutenden Strukturen beflügeln!
Die Ausstellung ist noch zu sehen bis zum 25. Januar 2026!

