Klaus-Peter Busse

Es war kein Urlaub

Bevor im kommenden Jahr die großen Ausstellungen zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys beginnen, zeigt das Schloss Moyland am Niederrhein eine kleine, aber feine Ausstellung mit seinen Zeichnungen und Objekten über die Beziehung des Künstlers zu Italien. Diese Beziehung zur italienischen Landschaft, zu seinen Menschen und zu den Problemen des Landes ist wenig bekannt, obwohl viele das Hauptwerk „Palazzo Regale“ in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf (das ursprünglich für das Museo Capodimonte in Neapel entworfen wurde) und die „Capri-Batterie“ kennen: 

 

Palazzo Regale, ©Joseph Beuys, VG Bild-Kunst, 2020, Foto: Walter Klein, Düsseldorf
Capri-Batterie (Foto L. Adam)

eine kleine Skulptur, die zeigt, wie eine Zitrone eine Glühbirne zum Leuchten bringt: vielleicht eine der schönsten Skulpturen des späten 20. Jahrhunderts. Sie räumt mit den Bedingungen der Skulptur auf, denn sie stellt keinen menschlichen Körper und keine abstrakte Figuration dar, sondern sie zeigt einen chemischen, also naturwissenschaftlichen Prozess, was Beuys interessierte.

Er reiste nicht nach Italien, um Urlaub zu machen, sondern um dort zu arbeiten. Er setzte sich dort mit dem italienischen Raum auseinander, aber vor allem mit den damals drängenden Fragen der süditalienischen Region, die bis heute aktuell sind. Die Region war, als sie Beuys besuchte, von vielen politischen und ökologischen Problemen geprägt, vor allem durch die Erdbeben, die Italien bis heute erschüttern. In der Begegnung mit Italien entwickelte er wichtige Themen seines Kunstbegriffs und gestaltete einige seiner bedeutenden Kunstwerke. Beuys bewegte sich in Kreisen von wichtigen Galeristen und Fachleuten, die ihn förderten, und er traf dort Künstler, die damals den Ton angaben. Man darf nicht vergessen, dass sich Italien in den 1960er-Jahren anschickte, Heimat für viele Künstler und Schriftsteller zu werden. Dort entwickelte sich die Arte Povera. Max Frisch und Ingeborg Bachmann lebten in Rom, und Cy Twombly kam aus den USA in die Stadt, um dort bis zu seinem Tod zu leben. Aber zu einem künstlerischen Hotspot wurde Neapel.

Buby Durini, Joseph Beuys bei einer Mahlzeit mit (v.l.n.r.): René Block, Klaus Staeck und Lucio Amelio, Rom, 1972 (Foto: L.Adam)
Foto: Klaus Peter Busse

Das lag an dem neapolitanischen Galeristen Lucio di Amelio, der viele Fäden in seinen Händen hielt, Projekte förderte und Künstler zusammenbrachte. Vor allem holte er sie in seine Heimatstadt. Für Beuys war Italien kein unbekanntes Land. Während des 2. Weltkriegs war er als Soldat im apulischen Gargano stationiert, wo er zeichnete. Als er in Neapel im Herbst 1971 ankam und dann nach Capri übersetzte, war er schon Professor an der Kunstakademie Düsseldorf und hatte wichtige Ausstellungen, z.B. auf der Documenta hinter sich gebracht. Nach Capri hatte ihn Lucio di Amelio eingeladen, den er im selben Jahr in Heidelberg kennengelernt hatte. Der Galerist erkannte die Bedeutung des deutschen Künstlers und schenkte ihm die Schallplatte „Ma l´amore no“ von Alida Valli, ein Lied, das Beuys an seine Zeit als Soldat in Italien erinnern sollte. Lucio Amelio sollte später dieses Lied selbst auf einer Langspielplatte einsingen, und kein geringerer als Cy Twombly malte hierfür das Cover (vgl. seine Abbildung aus der Sammlung des Verfassers). Während Twombly in dieser Zeit schon in großen Gemälden und vielen Zeichnungen den Golf von Neapel kartografiert hatte und sich immer wieder auf Capri aufhielt, arbeitete Beuys an seinem Kunstbegriff und entwickelte immer andere künstlerische Artikulationen: von performativen Vorträgen über Kreidezeichnungen auf schwarzen Tafeln bis zu komplexen Installationen. In dem Raum füllenden Projekt „Arena“ stellte er in Italien auf großen Tafeln sein Werk vor.

Zum Hören und Sehen der historischen Aufnahme aus dem Film „Stasera niente di nuovo“, erschienen Dezember 1942, Regie Mario Mattòli,

nur auf die Mitte des Bildes klicken.

Guardando le rose, sfiorite stamani,
io penso: domani saranno appassite.
E tutte le cose
son come le rose,
che vivono un giorno,
un’ora e non più!

Ma l’amore no,
l’amore mio non può
disperdersi nel vento con le rose
tanto è forte che non cederà,
non morirà.

Io lo veglierò,
io lo difenderò
da tutte quelle insidie velenose
che vorrebbero strapparlo al cuor,
povero amor.

Forse te ne andrai
da altre donne
le carezze cercherai
ahimè!
E se tornerai
già sfiorita ogni bellezza troverai in me.

Ma l’amore no,
l’amore mio non può
dissolversi con l’oro dei capelli
finch’io vivo sarà vivo in me,
solo per te.

Die Rosen ansehend, die heute Morgen verblassten, 
Denke ich: Morgen werden sie verwelkt sein.
Und alles
gleicht den Rosen,
die einen Tages leben,
eine Stunde und nicht mehr!

Aber die Liebe nicht,
Die Liebe kann nicht
Wie die Rosen im Wind zerstreut werden
so stark ist sie, dass sie nicht einstürzen,
nicht sterben wird.

Ich werde darüber wachen,
Ich werde sie verteidigen
gegen all diese giftigen Fallstricken,
die sie mir aus dem Herzen reißen möchten,
arme Liebe.

Vielleicht wirst du wegehendu weg
Bei anderen Frauen wirst du
nach Liebkosungen suchen
Ach!
Und falls du zurückkommst,
wirst du finden, dass all meine Schönheit bereits verblüht ist..

Aber die Liebe nicht,
Meine Liebe kann sich nicht
Mit dem Gold der Haare auflösen
Solange ich lebe, wird sie in mir lebendig sein.
Nur für dich.

 

(Übersetzung Lothar Adam)

Am 16. April 1981 bebte in Irpinia im Umkreis Neapels die Erde, eine große Katastrophe für die Region. Lucio Amelio bat sofort die wichtigen Künstler der damaligen Zeit, durch künstlerische Beiträge auf die aktuelle Lage aufmerksam zu machen. Beuys selbst verstand dieses Erdbeben sofort als Metapher für die aus seiner Sicht unhaltbaren Zustände in Süditalien. Er reiste sofort in die Region, um die Verwüstung selbst zu erleben, und sammelte Material für eine große Installation, die er „Terramoto in Palazzo“ nannte. Möbel stehen auf Gläsern, und Tische stehen schräg an einer Wand, gehalten von Tontöpfen: ein Zeichen für eine fragile Situation. Die Installation wurde 1982 Bestandteil einer großen Ausstellung in Herculaneum: Sie trug den Titel „Terrae Motus“ und vereinte Werke von Warhol, Rauschenberg und anderen Künstlern. Den Einband für den heute seltenen Katalog und das noch seltenere Plakat zeichnete Cy Twombly, der selbst eine Zeichnung beitrug.

1968 hatte ein Erdbeben den Ort Gibellina auf Sizilien vollkommen zerstört. Auch dorthin reiste Beuys im Jahr 1981 und beabsichtigte, an einem Projekt des örtlichen Bürgermeisters teilzunehmen, durch künstlerische Interventionen auf die Geschichte von Gibellina hinzuweisen. Weil der Ort nicht wieder aufgebaut werden konnte, wurde eine neue Stadt errichtet. Die Kühle dieses neuen Raums wollte Beuys durch Pflanzenaktionen aufheben, während der zerstörte Ort durch Alberto Burri einbetonniert wurde.

Foto Lothar Adam

Joseph Beuys war ein eifriger Künstler. Er zeichnete, entwickelte neue Formen des Umgangs mit Bildern, wagte sich an große Projekte und fand immer zum Kleinteiligen zurück. Neben den vielen berechtigten und unberechtigten Mythenbildungen zeigt sein Verhältnis zu Italien nicht nur Leidenschaft für das Land. Er wollte an den drängenden Problemen des Mezzogiorno mitdenken und sogar helfen, nach Lösungen zu suchen. Beuys war in dieser Hinsicht vollkommen authentisch. Er betrachtete das Land nicht aus der Ferne. Beuys wollte vor Ort sein. Wenn man schaut, woher seine Materialien kommen, dann sind es häufig diese Orte, wo er Dinge gefunden und gesehen hat, die später in seinem Werk auftauchen.

Es ist also keine schlechte Idee, sich auf den Weg zu machen, zumal es Italien wieder erlaubt: Statt touristische Orte zu besuchen, ist eine Spurensuche der Wege von Beuys ein aufmunterndes Konzept. Die süditalienische und sizilianische Landschaft als Orte der Landschaftveränderung zu betrachten, ist zwar eine Verstörung in unserem Italienbild, aber wir würden trotzdem überall dort vorbeikommen, wo die Zitronenbäume blühen. So war dann die „Capri Batterie“ das letzte Kunstwerk, in dem sich Joseph Beuys zu Italien äußerte: ein ökologisches Statement, das bis heute gültig ist, und ein wunderschönes Flimmern einer Utopie.

Wer nicht nach Italien kommt, sollte zum Schloss Moyland fahren, am besten mit dem Fahrrad, um die Landschaft zu sehen, die Beuys so wichtig war.

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