Lothar Adam

Die aktuelle Ausstellung im Duisburger Museum Küppersmühle „Emil Schumacher – Inspiration und Widerstand“ bietet einen Überblick über sein Lebenswerk. Emil Schumacher, am 29. August 1912 in Hagen geboren und am 4. Oktober 1999 in San José, Ibiza gestorben, war ein bedeutender deutscher Vertreter des Informel. Zu sehen sind in Ausstellung rund 80 Werke aus fünf Jahrzehnten. Die beiden ältesten Bilder in der Ausstellung stammen aus dem Jahr 1950, das jüngste aus dem Jahr seines Todes 1999.

Mich interessieren vor allem die späten Bilder des Künstlers, die deutlichere Hinweise auf Außerbildliches geben, ohne sein zentrales Thema, die Entwicklung eines spezifischen Bildraums aus dem Bildmaterial (Farbe und Untergrund), aus dem Auge zu verlieren. Der Titel der Ausstellung „Inspiration und Widerstand“ weist schon auf die beiden zentralen Funktionen der Ausgangsmaterialien für die Bildproduktion hin. So arbeitet  Schumacher nicht mit Skizzen; auch werden die Bildtitel häufig erst nach Fertigstellung des Bildes hinzugefügt. Für ihn  ist die spontane Auseinandersetzung mit den Farben und der Leinwand der Motor und die Hürden für seine Bildproduktion. Doch lassen sich selbst in einigen Bildern der mittleren abstrakteren Schaffensperiode Realitätsbezüge finden (z. B. Räder, Bögen, Horizonte), die auf die Naturhaftigkeit seiner Malerei hindeuten und nicht selten Reiseeindrücke reflektieren.

Das große Gemälde „Palmarum“, 1991 entstanden mit den Ausmaßen 205 x 370 cm, ist ausgeliehen von dem Emil-Schumacher-Museum in Hagen, wo es an prominter Stelle hängt. Auch in Duisburg dominiert  dieses Bild eine Ausstellungswand im größten Raum des Museums, zumal zwei kleinere Gemälde in Blautönen („Atlanta“ und „Atlanta I“) kontrastreich links neben dem „Palmarum“ hängen.

Worum geht es in  dem Gemälde, das aus der Nähe betrachtet zum Relief wird?

Es geht um eine Auseinandersetzung  auf dem Feld des Sehens zwischen zwei mächtigen Gegnern, die in unterschiedlichsten Erscheinungsformen miteinander ringen:

Achtung: Schon die folgende Bildbeschreibung ist subjektiv. V.a. bei der Deutung der schwarzen Formen wird der ein oder andere Betrachter zu anderen Ergebnissen kommen.

Das Sich-Erheben kämpft gegen die Schwerkraft, den Untergrund: die zwei großen schwarzen Bögen und v.a. die Vogelfigur versuchen aus meiner Sicht sich aus der gelben Fläche zu erheben;

das staubige, fast pudrig Sonnig-Gelbe, versucht sich dem chaotisch fließenden Schwarzen zu widersetzen;

 

 

deuten die schwarzen Formationen Landschaften und damit räumliche Tiefe an, verweigert das Gelb eine perspektivische Orientierung;  

die rechte Bildseite spiegelt variierend die linke Bildseite;

selbst innerhalb der schwarzen Farbe stehen angedeutete Umrisse von Tieren (vielleicht Vögeln, Pferden, Wölfen), Wolken und Hügel-Landschaften gegen das rein Materielle, das mich an Pfützen aus Lack und Schlacke erinnert;

auch bei der Farbe Weiß stehen sich formverstärkende Funktionen (etwa bei dem Vogel in der Mitte des Bildes) und rein kompositorische Aspekte (z.B. oben am Bildrand mittig und links) gegenüber;

collagierte getrocknete Blätter und Ästchen, die an Palmenblätter oder archäologische Fundstücke erinnern, trotzen Verlauf- und Kratzspuren, die den Entstehungsprozess des Bildes nachvollziehbar machen.

Der Kampf endet mit einem Remis.

Dabei klingt der Titel des Bildes „Palmarum“ so friedlich, er erinnert mich an eine Südseeinsel mit Palmenstrand. Und eine Landschaft könnte ja in der Tat, wie oben schon gesagt, in dem Bild angedeutet sein. Da gibt es die beiden großen Bögen, die sich zur Mitte hin neigen, die an eine harmonische Hügellandschaft denken lassen oder an die Rücken von Tieren. Ein schwarzer Vogel in der Mitte des Bildes scheint sich zu erheben. Links unten senkt ein Wolf seinen Kopf. Dieser Vorstellung folgend würden die schwarz dominierten Flächen rechts und links vom Vogel zu Wolken vor einer riesigen, gelben, untergehenden Sonne. Diese mich fast an Bilder von Franz Marc erinnernde Landschafts- und Tieridylle bekommt durch die kleinen Blätter und Äste, die als Erinnerungsstücke an eine Reise gedacht sein könnten, einen weiteren Südsee-Akzent.

Doch tauchen diese Assoziationen nur kurz bei mir auf. Zu dominant ist der Eindruck, eines Alptraums ansichtig zu werden. Das Gelb ist für Friedliches viel zu verschmiert und aggressiv, eher an Giftiges, Schwefelhaltiges erinnernd. Damit korrespondieren die Lack- oder Schlackefützen und die vielen verdreckten Farbflächen. Die schwarzen und an einigen Stellen weißen Konturierungen sind Ergebnis offensichtlich spontaner Aus- und Übermalungen, durch die die verschiedenen Ebenen und Bereiche des Bildes miteinander verwoben werden. Allen Formen scheint etwas Flüchtiges, Fließendes, Sich-Veränderndes anzuhaften. Falls der Hintergrund eine Sonne ist, dann hat sie sich zu einem letzten großen Knall aufgeblasen. Das Bild ist eine Dystopie nach dem Abwurf einer letzten chemischen Bombe. Auf den Teerflüssen treiben die Reste der Pflanzenwelt; Menschliches ist nicht mehr zu finden – als ob sich Gauguin, nach einem Aufenthalt bei Pollock, Tapies und Twombly, noch einmal zu einer Südseeinsel aufmache, um dort die durch die Zivilisation zerstörten Reste eines Naturparadieses in einem Gemälde zu verarbeiten.

Dem Gemälde haftet in meinen Augen eine erschreckende Aktualität an. Immer wieder nähere und entferne ich mich von dem Bild. Gefangen von seiner Ausdruckskraft fällt es mir schwer, den Bildraum zu verlassen, verzweifelt hoffend, dass sich der große schwarze Vogel doch noch in glücklichere Himmel erheben wird.

Hintergründe zur Entstehung des Bildes

Das Emil Schumacher Museum in Hagen wird am 28. August 2009 mit der bisher größten Retrospektive seines Namenspatrons eröffnet. Dr. Ulrich Schumacher, Sohn des Malers und Direktor des Museums, führt anlässlich der Eröffnung in einem Video in das Werk seines Vaters ein und erzählt die Geschichte von „Palmarum“:

„Das ist das dritte Bild der 1964 auf der Kasseler Documenta gezeigten sogenannten „Documenta-Bilder“ meines Vaters. Das waren ein weißes, ein blaues und ein rotes Bild. Das rote Bild ist, nachdem die Bilder von der Ausstellung zurückkamen,  zerstört worden. Mein Vater wollte es verändern, verbessern, wie er sagt, verschlimmbessern, und dabei ist das Bild zerstört worden. Aber den Keilrahmen hat er weiter noch aufbewahrt, weil er dachte, ich male später noch mal ein Bild. Um dann im hohen Alter von 80 Jahren, hat er sich dieses Bild noch einmal vorgenommen, den Keilrahmen neu bespannt und sich dieser Aufgabe gewidmet.“

 

EMIL SCHUMACHER

Inspiration und Widerstand

  1. November 2018 bis 10. März 2019

MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Christoph Staudigl

    Mich erinnert das Bild „Palmarum“ an die letzten Bilder Van Goghs, speziell jenes mit den Krähen über den Weizenfeldern.
    Generell hat für mich Schumachers Malerei mit Höhlenkunst zu tun und mit der Frage, was kreativ, was künstlerisch wertvoll ist. Dies insbesondere nachdem zwei Weltkriege alte Wertsysteme des Bildungskanone zerschlagen oder doch in Frage gestellt haben. Was Arno Schmidt oder Paul Celan für die deutschsprachige Literatur der Nachkriegsjahre sind ist Schumacher in der Malerei: auch er sucht nach einer Sprache, die dem Ungeformten, Archaischen, Unsagbaren, Nichtideologischen, Nicht programmatischen, Nichtmodernistischen usw. entsprechen könnte. Auch heute noch finde ich seinen Ansatz, der allen technischen künstlerischen Raffinessen und konzeptualistischen Strategien Lügen straft, angenehm erfrischend. Was bei der Mega-Kunst Anselm Kiefers einfach nur peinlich, selbstverliebt und eben nicht überzeugend, nicht gelungen erscheint, das ist bei Schumacher fast schon zeitlos präsent: Einfühlung, die ein Wilhelm Worringer noch der realistischen Tendenz in der Kunst allein zuschrieb versus Abstraktion. Schumacher führt vor, wie Einfühlung in der Abstraktion durchaus eine Rolle spielen kann. Schon in der prähistorischen Kunst gab es beide Prinzipien, was vorführt, dass beide Linien in der Kunst ursprünglich eben gar nicht so ausschließlich, sondern vielmehr als sich ergänzend empfunden worden sind.
    Gegenwärtig gibt es viele „interessante‘, aufregende Ansätze, Möglichkeiten usw. im Kunstgeschehen. Viele davon streben eine Entgrenzung in vielerlei Hinsicht an. Aber wenig davon weist meines Erachtens Qualitäten auf, wie ich sie in der Kunst der frühen Moderne, etwa bei Franz Marc oder in den Nachkriegsjahren etwa bei Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay und eben auch bei Emil Schumacher finde.
    „Palmarum“ heißt in der Übersetzung Palmsonntag, also bezeichnet den letzten Sonntag der Fastenzeit vor Ostern. Es geht in Schumachers Bild also um eine Erwartung von etwas Lichtvollem, Erhebenden aus einer Zeit der Dürre, des Wüstenartigen heraus. Alle diese Qualitaeten kann ich darin sehen.

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