Dabei klingt der Titel des Bildes „Palmarum“ so friedlich, er erinnert mich an eine Südseeinsel mit Palmenstrand. Und eine Landschaft könnte ja in der Tat, wie oben schon gesagt, in dem Bild angedeutet sein. Da gibt es die beiden großen Bögen, die sich zur Mitte hin neigen, die an eine harmonische Hügellandschaft denken lassen oder an die Rücken von Tieren. Ein schwarzer Vogel in der Mitte des Bildes scheint sich zu erheben. Links unten senkt ein Wolf seinen Kopf. Dieser Vorstellung folgend würden die schwarz dominierten Flächen rechts und links vom Vogel zu Wolken vor einer riesigen, gelben, untergehenden Sonne. Diese mich fast an Bilder von Franz Marc erinnernde Landschafts- und Tieridylle bekommt durch die kleinen Blätter und Äste, die als Erinnerungsstücke an eine Reise gedacht sein könnten, einen weiteren Südsee-Akzent.
Doch tauchen diese Assoziationen nur kurz bei mir auf. Zu dominant ist der Eindruck, eines Alptraums ansichtig zu werden. Das Gelb ist für Friedliches viel zu verschmiert und aggressiv, eher an Giftiges, Schwefelhaltiges erinnernd. Damit korrespondieren die Lack- oder Schlackefützen und die vielen verdreckten Farbflächen. Die schwarzen und an einigen Stellen weißen Konturierungen sind Ergebnis offensichtlich spontaner Aus- und Übermalungen, durch die die verschiedenen Ebenen und Bereiche des Bildes miteinander verwoben werden. Allen Formen scheint etwas Flüchtiges, Fließendes, Sich-Veränderndes anzuhaften. Falls der Hintergrund eine Sonne ist, dann hat sie sich zu einem letzten großen Knall aufgeblasen. Das Bild ist eine Dystopie nach dem Abwurf einer letzten chemischen Bombe. Auf den Teerflüssen treiben die Reste der Pflanzenwelt; Menschliches ist nicht mehr zu finden – als ob sich Gauguin, nach einem Aufenthalt bei Pollock, Tapies und Twombly, noch einmal zu einer Südseeinsel aufmache, um dort die durch die Zivilisation zerstörten Reste eines Naturparadieses in einem Gemälde zu verarbeiten.
Dem Gemälde haftet in meinen Augen eine erschreckende Aktualität an. Immer wieder nähere und entferne ich mich von dem Bild. Gefangen von seiner Ausdruckskraft fällt es mir schwer, den Bildraum zu verlassen, verzweifelt hoffend, dass sich der große schwarze Vogel doch noch in glücklichere Himmel erheben wird.
Mich erinnert das Bild „Palmarum“ an die letzten Bilder Van Goghs, speziell jenes mit den Krähen über den Weizenfeldern.
Generell hat für mich Schumachers Malerei mit Höhlenkunst zu tun und mit der Frage, was kreativ, was künstlerisch wertvoll ist. Dies insbesondere nachdem zwei Weltkriege alte Wertsysteme des Bildungskanone zerschlagen oder doch in Frage gestellt haben. Was Arno Schmidt oder Paul Celan für die deutschsprachige Literatur der Nachkriegsjahre sind ist Schumacher in der Malerei: auch er sucht nach einer Sprache, die dem Ungeformten, Archaischen, Unsagbaren, Nichtideologischen, Nicht programmatischen, Nichtmodernistischen usw. entsprechen könnte. Auch heute noch finde ich seinen Ansatz, der allen technischen künstlerischen Raffinessen und konzeptualistischen Strategien Lügen straft, angenehm erfrischend. Was bei der Mega-Kunst Anselm Kiefers einfach nur peinlich, selbstverliebt und eben nicht überzeugend, nicht gelungen erscheint, das ist bei Schumacher fast schon zeitlos präsent: Einfühlung, die ein Wilhelm Worringer noch der realistischen Tendenz in der Kunst allein zuschrieb versus Abstraktion. Schumacher führt vor, wie Einfühlung in der Abstraktion durchaus eine Rolle spielen kann. Schon in der prähistorischen Kunst gab es beide Prinzipien, was vorführt, dass beide Linien in der Kunst ursprünglich eben gar nicht so ausschließlich, sondern vielmehr als sich ergänzend empfunden worden sind.
Gegenwärtig gibt es viele „interessante‘, aufregende Ansätze, Möglichkeiten usw. im Kunstgeschehen. Viele davon streben eine Entgrenzung in vielerlei Hinsicht an. Aber wenig davon weist meines Erachtens Qualitäten auf, wie ich sie in der Kunst der frühen Moderne, etwa bei Franz Marc oder in den Nachkriegsjahren etwa bei Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay und eben auch bei Emil Schumacher finde.
„Palmarum“ heißt in der Übersetzung Palmsonntag, also bezeichnet den letzten Sonntag der Fastenzeit vor Ostern. Es geht in Schumachers Bild also um eine Erwartung von etwas Lichtvollem, Erhebenden aus einer Zeit der Dürre, des Wüstenartigen heraus. Alle diese Qualitaeten kann ich darin sehen.