von Lothar Adam

Josef Albers, Blick aus meinem Fenster, 1911

Wie im Newsletter angedeutet, hat mich an der Ausstellung besonders interessiert, ob es  in dem figurativen Frühwerk des für seine „Homage to the Square“  berühmten Josef Albers  Hinweise auf sein  späteres abstraktes Werk gibt.

Josef Albers, Blick aus dem Fenster Stadtlohn 1911 Juli, Tusche mit weißer Gouache auf Velinpapier, 28,8 x 20,3 cm

Unter dieser Fragestellung fällt seine früheste (datierte) Zeichnung auf: Blick aus meinem Fenster von 1911. Der 23-jährige Albers ist zu jener Zeit Volksschullehrer in Stadtlohn und schaut von seinem Zimmer aus auf die St. Otger-Kirche. Auf der Zeichnung ist es Nacht, so dass ich mir vorstellen kann, wie der junge Lehrer nachts in seinem Zimmer sitzt und nach seinen Unterrichtsvorbereitungen das zeichnet, was sich seinem Blick darbietet. Die vielen aus der Hand mit Tusche gezeichneten parallelen Linien konnten vielleicht nur nachts  gelingen, zu einer Zeit, die eine ungestörte Konzentration auf das Zeichnen ermöglicht. 

(V. a. die  engmaschige Struktur des Himmels, die mit den kleinen helleren Stellen das Leuchten von Sternen andeuten, führte bei meinem ersten Blick sogar zu der Vermutung,  dass es sich bei dem Bild um eine Grafik handeln könnte.) 

Nun ist das Motiv des Fensterblicks aus dem Atelier in der Geschichte der Malerei sehr beliebt. Das liegt nicht nur daran, dass die Maler Reisezeit und Kosten bei diesem Motiv sparen konnten, sondern v.a. daran, dass das Fenstermotiv ein Problem jeder Landschaftsmalerei elegant löst: die Fragen nach der Größe und Wahl des Ausschnitts.

 

Caspar David Friedrich, Blick aus dem Fenster des Künstlers", 1805/06

Dies wird deutlich an Caspar David Friedrichs Blick aus dem Fenster. Im Fensterausschnitt sehen wir vor der Flusslandschaft den mit Seilen bespannten Mast eines Segelbootes. Diese  Andeutung  eines Bootes nimmt der Betrachter aber als selbstverständlich hin, da sie sich aus der gewählten Perspektive ergibt. Im Innern dieses  Fensters ist eben nicht mehr als dieses Bootsdetail zu sehen. Das Fenster in seiner geometrischen Form gibt zudem allen an- und abgeschnittenen Objekten in seinem Innern einen Rahmen, durch den das Bild als Ganzes eine stabile, fast steife kompositorische Ordnung bekommt.

Eine weitere oft genutzte Option des Fensterbildes ist es, dass das Motiv eine klare perspektivische Ordnung vorgibt. Es gibt einen Innenraum, in den das geöffnete Fenster ragt, eine ihn senkrecht nach hinten begrenzende Wand und eine Fensteröffnung, durch die der dahinter liegende Raum, hier die Flusslandschaft, sichtbar wird. Der Himmel bildet eine abschließende senkrechte Fläche. Innen und außen, nah und fern sind deutlich unterscheidbar und werden in der Romantik gerne mit einem sehnsuchtsvollen Blick begleitet.

Wenden wir uns jetzt dem gezeichneten Blick von Albers zu, so fällt sofort auf, dass ein Fensterrahmen und damit ein Innenraum fehlen.  Allein der städtische Außenraum und der  Himmel werden festgehalten. Durch den fehlenden (Fenster-)Rahmen fällt dem Betrachter aber auf, dass fast alle Flächen der Gebäude (die Fassaden mit den Fenstern) angeschnitten, zur Außenseite des Bildes offen sind, sodass die Dachfirste und die Turmspitze ins Leere laufen.

 Da aber der helle Kirchturm mit seiner kubischen Form den Bildraum dominiert und er mit  der rechten Frontseite in der Nähe der Mittelsenkrechten des Bildes liegt, bekommt das Bild trotz fehlender Rahmung eine stabile Kompositionsstruktur (planimetrische Ordnung), zumal die Dächer der nebenliegenden Türme genau bis an die Mittelwaagerechten heranreichen, so dass man fast von einem implizierten Fensterkreuz sprechen kann.

Ich habe schon auf die Gitterstruktur des nächtlichen Himmels hingewiesen. Dass dieses Gitter verkleinert auch in der vorderen linken Hauswand sich wiederfindet,  stört zwar die  perspektivische Ordnung, da vorne Liegendes und Rückwärtiges mit ähnlicher Schraffur versehen sind, 

doch kann man in der unteren Bildhälfte noch eine deutliche Staffelung von Häusern vor einem Kirchturm erkennen.

In der oberen Bildhälfte kommt allerdings der Turm ganz nah an die Bildfläche heran, ja man hat fast den Eindruck, dass das obere Dach über dem Doppelfenster aus der Bildfläche herauskommt. Hinzu kommt, dass keine erkennbare Lichtquelle im Bild zu finden ist. Die Fenster in den unteren Häusern weisen unterschiedliche Spiegelungen von Licht auf – oder sind sie z.T. von innen beleuchtet? Welche Lichtquelle für die Helle der weißen Dachkante des rechten Hauses verantwortlich ist, bleibt ungeklärt.

Ich fasse zusammen: Offensichtlich reizten Albers an dem gewählten Nachtmotiv weder  die Farbspiele auf den Häusern- oder der Kirchenfassade noch eine auf Tiefenwirkung abzielende perspektivische Anordnung und auch nicht die Gegenübersetzung von Innenraum  und draußen. Selbst  wenn ich Sternen rund um einen Kirchturm mit fast weihnachtlichen Bildmotiven assoziiere, werden ernsthaftere religiöse Gedanken durch die einfach abgeschnittene Turmspitze blockiert. Was bleibt, ist das Spiel der Flächen mit dem Raum, die Variationen von hell und dunkel, beleuchtet und leuchtend. Besonders auffällig ist, dass die Offenheit der Flächen  zu den Rändern einer kreuzförmigen Binnenorientierung gegenübersteht.  Die Ausführungen der Schraffur deutet eine Beharrlichkeit und Konzentration an, die anstelle einer spontanen geniehaften Strichführung eher auf handwerkliche Präzision setzt. Dient dies Bild Albers einerseits vielleicht im Sinne eines Tagebuchs dazu, Erlebtes/Gesehenes festzuhalten, so deuten sich andererseits hier schon ästhetische Bestrebungen an, die als Vorstufen zu seinen späteren abstrakten Werken gesehen werden können.

Die Kuratorin der Ausstellung, Ulrike Growe, hat neben die besprochene Zeichnung  von 1911 das Glasbild „Interior B“ von 1929 gehängt. Gut erkennbar wird damit eine Zwischenstufe in Albers Entwicklung hin zur Homage to the Square:  die Abstraktion von Erscheinungsfarben (hier auf unbunte Farben), die Betonungen von geometrischen Flächen (v.a. des Rechtecks und des Quadrats), die Fläche-Raum-Spiele, die Öffnungen der Flächen zum Rand hin, die Leucht-Beleuchtet-Wirkungen. Selbst Assoziationen an Fenster und Stockwerke sind bei dem Interior B noch möglich.

Josef Albers, Interior B, 1929 Glas opak, sandgestrahlt, 32,5 x 25,5 cm

Die Ausstellung geht noch bis zum 

12. Januar.

Quadrat
Im Stadtgarten 20
462376 Bottrop

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