Polke in der Kunsthalle Düsseldorf provoziert Bildvergleiche
Lothar Adam
Jede Ausstellung erzeugt einen neuen Zusammenhang zwischen dem einzelnen Werk und den Objekten in seiner Umgebung.
Ausstellungen können aber auch gezielt zu Vergleichen zwischen zwei oder mehreren Künstler*innen anregen. Schon im Titel fordern momentan drei Ausstellungen dazu auf: „Beuys und Duchamp“, „Beuys im Kontext der Sammlung“ – beide in Krefeld -, „Polke und aktuelle künstlerische Positionen“ in Düsseldorf.
Die Ausstellung „Beuys und Duchamp“ im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum ermöglicht einen genussreichen Erkenntnisgewinn. Schon im Eingangsraum werden durch die Zusammenstellung der Objekte auf einer Bühne das Gemeinsame beider Künstler – z. B. bei der Verwendung von Alltagsgegenständen – veranschaulicht. Aber es wird auch erfahrbar, wie unterschiedlich die Gegenstände mit den jeweiligen Biografien verknüpft sind. Zwei Große der Kunst begegnen sich auf Augenhöhe.
Eine ausführliche Kommentierung der Ausstellung „Beuys – Duchamp“ finden Sie auf unsere Webpage oder nach dem Klick auf den folgenden Button.
Im Haus Lange und im Haus Esters wird der Versuch gemacht, Objekte aus der Sammlung der Kunstmuseen Krefeld in Verbindung mit Joseph Beuys zu bringen. Dass man bei einem so vielseitigen Künstler wie Beuys irgendeinen Bezug zu aktuellen Künstlern und Künsterinnen herstellen kann, liegt auf der Hand. Die Frage ist, welchen Gewinn die Besuchenden durch diesen Vergleich haben. Sieht man Beuys mit anderen Augen? Gewinnen die ausgestellten Kunstwerke eine neue Dimension?
Im Haus Esters wird beispielsweise im Erdgeschoss die Skulptur „Annucation“ von Kiki Smith (*1954) gezeigt.
Nun ist das Motiv der Verkündigung, also die Darstellung der Situation, in der Maria erfährt, dass sie ohne eine natürliche Befruchtung den Sohn Gottes gebären soll, eines der beliebtesten in der älteren Kunstgeschichte. Reizvoll wäre es, diese Skulptur vor dem Hintergrund dieser Tradition in ihrer Besonderheit wahrnehmen zu können. V.a. die unter der Decke angebrachte Taube hat etwas Provokatives. Die Konzeption der Ausstellung, die Bezüge zu Beuys nahelegt, überfordert Besucher*innen, da Hinweise, z.B. auf ein paralleles Werk von Beuys, fehlen. Auch die Information im Flyer der Ausstellung, dass ähnlich wie Beuys Kiki Smith „eine eigene Symbolik“ entwickele, ist in dieser Allgemeinheit nicht erkenntniserhellend.
Da sich diese Art der Begegnung mit den anderen Objekten der Ausstellung wiederholt, entsteht bei mir der Eindruck: Es werden hier Künstler*innen und Kunstwerke verheizt, nur um im Beuys-Jahr einen aktuellen Bezug zu haben. Der Blick von einem großen bekannten Künstler auf das Einzelwerk von weniger bekannten wird in dieser Ausstellung den letzteren nicht gerecht.
Nach dieser Erfahrung war ich natürlich skeptisch, als ich den Titel einer Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle gelesen habe: „Produktive Bildstörung – SIGMAR POLKE UND AKTUELLE KÜNSTLERISCHE POSITIONEN“, die anlässlich des 80. Geburtstages des Künstlers veranstaltet wird. Um es vorweg zu nehmen: Die Konfrontation der Werke Polkes mit denen von aktuellen Künstler*innen ist geglückt – weitgehend.
Im dritten oberen Raum der Ausstellung hängt das gelb fluoreszierende Gemälde von Polke: Amerikanisch-Mexikanische Grenze von 1984.
Die politische Aktualität dieses Bildes springt direkt ins Auge, wenn man z.B. an den Konflikt im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen denkt. Hier ein Pressefoto.
Eine räumliche Annäherung an das Bild von Polke, das auf den ersten Blick merkwürdig verschwommen wirkt, führt nicht zu einer klareren Wahrnehmung. Im Gegenteil: Das Bild wird zu einem abstrakten Gewebe aus schwarzen Punkten und Flecken vor einem gelb-weißlichen Hintergrund. Offensichtlich hat Polke die Druckraster eines Pressefotos extrem vergrößert, die schwarzen Rasterpunkte und Druckfehler dabei sorgfältig nachgemalt.
Da die schwarze Rasterung im oberen Bildteil dem Flechtwerk des Zauns perfekt entspricht, ist es schwierig anzugeben, wo der Zaun aufhört.
Weil das aggressive Gelb des Untergrundes in anderen Zusammenhängen als Warnfarbe verwandt wird (z. B. bei den Warnwesten für den Straßenverkehr), so könnte man vermuten, dass in dieser Farbwahl eine indirekte Parteinahme des Malers für die Flüchtenden stecke. Will sich der Maler mit seinem Bild für Flüchtenden engagieren? Doch der Bezug auf ein Pressefoto, die angedeutete Vergrößerung via Rastervergrößerung betonen die Objektivität der dargestellten Situation. Auch der Bildausschnitt und die Blickperspektive deuten keine besondere Sympathie für die Flüchtenden an. Drei Männer werden von hinten merkwürdig verzerrt vor einem Maschendrahtzaun stehend dargestellt. Ein weiterer Mann scheint den Zaun überwunden zu haben und stürzt – Ikarus gleich – auf die gegenüberliegende Seite des Grenzzauns. Der Hintergrund bleibt verschwommen. Wollte der Maler Sympathie, Mitleid oder politische Anklage bewirken, so hätte er die Situation gefährlicher darstellen können, oder er hätte die drei Personen im Vordergrund mitleiderregender arrangieren können, z. B. durch den Blick in ihre Gesichter. So aber könnten die drei jungen Leute, die in einer legeren Freizeitkleidung mit weißen T-Shirts und schwarzen langen Hosen auftreten, auch einem Fußballspiel oder einer Mutprobe beiwohnen. Polke verzichtet auf traditionelle Bildstrategien, die mittels Dramatisierung die Gefahr betonen, in der die Flüchtenden sich befinden. Entfernt erinnert die Darstellung der Personen an die Betracher*innen zu Teilnahme einladenden Rückfiguren von Caspar David Friedrich.
War schon die fotografische Vorlage eine subjektive Setzung durch Wahl des Ausschnitts, des Auslösemoments usw., so ist das Bild durch Polkes künstlerische Umsetzung mehrfach subjektiven Brechungen unterworfen, nicht zuletzt durch die Wahl der ungewöhnlich großen Leinwanddimensionen und des grellen gelben Untergrundes. Dabei erhebt das Bild den Anspruch, auf einen konkreten Moment an einem bestimmten Ort Bezug zu nehmen, da sein Titel ja ist: Amerikanisch-Mexikanische Grenze! Durch die Verwendung des Pressefotos als Ausgangspunkt für das Bild besteht dieses darauf, ein politisches Geschehen in der aktuellen amerikanischen Wirklichkeit zu kommentieren. Polkes Gemälde über die amerikanisch-mexikanische Grenze wird zu einem Modell von Grenzerfahrung überhaupt, wodurch es den Betrachter*innen ermöglicht, auch aktuelle Grenzkonflikte mit ihm zu assoziieren.
Wendet man den Blick nach links, erblickt man drei Bilder von Max Schulze, die beim ersten Augenschein keinen Bezug zu dem Bild von Polke haben.
Sie wirken wie abstrakte Muster, geeignet für Tapeten oder als Geschenkpapier, wobei auf dem rechten Bild auch drei hintereinander gestaffelte Profilansichten angedeutet sein könnten.
Der Ausstellungsflyer informiert, dass es sich um militärische Tarnmuster handele und dass es Schulzes Absicht sei zu verdeutlichen, welchen Bedeutungswandel diese Camouflage durch die Modeindustrie erfahren habe. Indem Schulze in diesem Triptychon militärische Tarnmuster, die ja ursprünglich unsichtbar machen sollten – wie der Titel der Bilder andeutet -, in abstrakte farbstarke Gemälden überführt, überzeichnet er ironisch eine Mode, die mittels Camouflage-Muster auf Hosen und Jacken auffallen will. Wie Polke will Schulze kritisch unsere Sehgewohnheiten infrage stellen und zu einem bewussteren Sehen anregen.
Wendet man sich nun noch einmal dem Bild von Polke zu, so fallen jetzt die grauen Schatten im rechten Bildhintergrund auf. Könnten dort nicht Soldaten stehen, die sich mittels ihrer Uniform kaum von der Landschaft abheben?
Soweit das Gemeinsame und das, was eine Kommunikation zwischen den Kunstwerken ermöglicht. Und die Unterschiede?
Flüchtende vor Grenzen und Militärmode im Alltag sind beides Herausforderungen an zwei mächtige Systeme. Die Flüchtenden greifen die Souveränität des Nationalstaates an. Dieser wehrt sich mit Militär, Grenzzäunen oder – wänden (s. Trump).
Militärkleidung als Alltagskleidung provoziert eine Kulturindustrie, die keine Alternative zu dem Verkaufbaren und Gewinnbringenden zulassen will. Sie reagiert mit Einvernahme: Punkmode bei C&A, Militärmuster auf den Knabenhose von „In-shops“. Mit modischer Kleidung möchte der Träger einerseits auffallen, andererseits kann sie aber auch eine identitätsstiftende Funktion haben. Da besonders Zeitgenossen am rechten politischen Rand sich von Militärklamotten angezogen fühlen, diese dann in Aufmärschen vorführen, in denen der Einzelne seine Individualität zugunsten eines Gruppengefühls aufgibt, taucht die ursprüngliche militärische Funktion des Verschwindens wieder mitten in der Zivilgesellschaft auf.
In dem Video-Film
How Not to Be Seen: A Fuckin Didactic Educational . MoV file
von Hito Steyerl, der vor einem Jahr im Düsseldorfer K21 anlässlich der Ausstellung „Hito Steyerl / I Will Survive“ gezeigt wurde, spielt die Künstlerin Möglichkeiten des Verschwindens durch, wobei sie auch auf die Camouflage eingeht. Auf unserer Webpage ist dieser Film noch zu sehen.
Indem Polke ein Pressefoto über eine Grenze verfremdet und dekonstruiert, kann er auch auf aktuelle Schicksale von Flüchtenden und die brutalen Reaktionen des Staates aufmerksam machen.
Schulze übertreibt ironisierend das Einschleichen von Militärmustern in die Mode. Aber seine Herangehensweise und die an ein Triptychon erinnernde Präsentation in der Ausstellung könnten Missverständnisse hervorrufen: Dann würden durch diese Kunstwerke solche Muster erst recht salonfähig. Der eine Hose im Militärlook tragende Jugendliche wird vor den Bildern von Schulze nicht unbedingt nachdenklich.
Es ist immer risikoreich, neben ein Bild mit erkennbaren Motiven und politischen Intentionen ein abstraktes zu hängen. Die Gefahr einer nur oberflächlichen Bezugnahme ist groß („Wie bunt die Bilder an dieser Wand sind!“).
Ein Museum müsste in solchen Fällen Besucher*innen weitere Informationen an die Hand geben, damit der Bildervergleich ertragreich ist.
Trotz dieser Kritik: Ein Besuch der Polke-Ausstellung, die seine Bilder mit aktuellen künstlerischen Positionen zusammenbringt, lohnt sich auf jeden Fall. Gezeigt werden Werke von Kerstin Brätsch, Phoebe Collings-James, Raphael Hefti, Camille Henrot, Trevor Paglen, Seth Price und Avery Singer.
Den Bezug, den ich zwischen den Bildern sehe, ist, dass so wie Camouflage Einzug in unseren pop-kulturellen Alltag gefunden hat, so haben Pressefotos, aber auch Fotos von Augenzeugen von humanitäre/politische Katastrophen durch soziale Medien (z.B. Instagram) Einzug in unseren Alltag erhalten. Durch Filter (s. gelbe Signalfarbe) werden sie verfremdet, durch Hashtags mit einem Narrativ belegt, gehen sie viral.