Gegenstand Malerei

Klaus-Peter Busse

James Howell: Resolution and Independence. Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, 10. April bis 10. Juli 2022
Raimund Girke: Klang der Stille. Museum Küppersmühle Duisburg, 18. März bis 26. Juni 2022

James Howell, 48.17 08/30/00, 2000, Acryl auf Leinwand, 102 × 102 cm, Serie 10 © James Howell Foundation / Courtesy Bartha Contemporary, London, Foto: Mareike Tocha, Köln
Raimund Girke, Pathos, 1989; Öl auf Leinwand 160 x 140 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 | Foto: Henning Krause, Köln

Die Gemälde von James Howell und Raimund Girke sind keine leichte Museumskost. Auf den ersten Blick sind sie sehr abstrakt, und sie stellen nichts dar, was man aus der eigenen Lebenswelt kennt. Sie sind vielleicht sehr gute Beispiele für das, was Umberto Eco ein „offenes Kunstwerk“ genannt hat, das viele Spielräume für nicht festlegbare Bedeutungen öffnet.
So könnten Betrachter*innen vor den Gemälden von Raimund Girke an Blicke durch beschlagene Fensterscheiben auf eine neblige Landschaft denken. Wer die „Italienische Reise“ von Goethe gelesen hat, wir unter Umständen bei der Betrachtung der Gemälde von James Howell an die Schilderung seiner Überfahrt von Neapel nach Palermo erinnert werden, als der Schriftsteller die Auflösung des Horizonts wahrnimmt (und es ihm deswegen schlecht wird). Die Bilder verbieten solche Betrachtungen nicht, und sie sind unter Umständen sogar ihr großer Schatz, weil sie die Wahrnehmung des Gemalten öffnen und so für die Betrachter*innen zu einem aktiven Gegenüber werden. Die Gemälde beider Ausstellungen sind ausgesprochen dialogisch, und darauf muss man sich einlassen, wenn man die Präsentationen besucht.

Raimund Girke ist in der Kunstgeschichte der Nachkriegsjahre ein prominenter Maler. Der Amerikaner James Howell war bislang wenig bekannt, und umso erfreulicher ist die Ausstellung im Quadrat in Bottrop, wo der Museumsdirektor Heinz Liesbrock einmal mehr das kunstgeschichtliche Umfeld der künstlerischen Arbeit von Josef Albers vorstellt. Den Gemälden beider Ausstellungen ist das Grau gemeinsam, das Girke und Howell ausgiebig benutzen. Folgt man dem Philosophen Peter Sloterdijk in seiner jüngst erschienenen Farbenlehre („Wer noch kein Grau gedacht hat“), dann löst diese (Nicht)Farbe keine besonders positiven Assoziationen aus: „Das Gleichgültige, das Trostlose, das Ungefähre, das Immergleiche, das Tendenzlose, das Amorphe, das Nichtssagende, das Bedeckte, das Nebelhafte, das Monotone, das leicht Widerwärtige, das Aschenfarbige.“ Diesem Bedeutungsspektrum der Wahrnehmung der Farbe begegnet man in beiden Ausstellungen sofort, doch sieht man bald, dass ihm beide Maler etwas hinzufügen, passend zu Cézannes Diktum, dass man kein Maler sei, solange man kein Grau gemalt habe. So zeigen die Bilder beider Maler, wie das Grau entsteht.

RAIMUND GIRKE Helles Bild, 1959 Öl auf Leinwand 90 x 125 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 | Foto: Udo Schäfer, Mühltal MKM Museum Küppermühle, Duisburg, Sammlung Ströher

Raimund Girke arbeitet mit Übermalungen von Farbschichten, und in den Arbeitsprozessen von James Howell erkennt man die akribische Farbmischung von Schwarz, Weiß und Umbra, durch die ein Warmgrau in vielfältigsten Variationen entsteht. Während in den Gemälden Girkes zunehmend der Pinselstrich, die Bewegung der malenden Hand und (in den großen Gemälden) des malenden Körpers eine wichtige Rolle spielen, sind in Howells Werken der Pinselstrich und der Malerspachtel kaum mehr zu erkennen. Die Gemälde beider Künstler zeigen einen sehr gegensätzlichen Zugriff auf den Malprozess: Bewegung und Dynamik stehen der Ruhe und Stille gegenüber. Dennoch haben die Werke eine interessante Gemeinsamkeit. Sie zeigen den Gegenstand der Malerei an ihrem Grund, und sie erzählen so über die Entstehung von Farbe, von Schichtungen und Mischungen, von Pinseln und Farbbechern. Deswegen ergänzen die Ausstellungskuratoren die Werkpräsentationen durch Fotografien der Ateliers und Arbeitszusammenhänge, und die Betrachter*innen der Werke können den Weg der Bilder zurück in ihren Entstehungsprozess mitgehen.

(Eigenes Foto der Ausstellungsinstallation)

Während sich Raimund Girkes Werk an vielen Stellen einer Untersuchung und Darstellung der dynamischen Pinselschrift nähert, die eine wichtige Kulturpraxis sehr unterschiedlicher Kulturkreise ist, öffnet das Werk von James Howell einen Weg in die Darstellung des Meeres. Er hat dort gelebt, und die Wahrnehmung dieses Lebensraums mit den Mitteln der Malerei bestimmt seine Gemälde. Obwohl beide Werkzusammenhänge zunächst sehr unzugänglich oder schwierig erscheinen, sind sie bei genauer Betrachtung eine Auseinandersetzung mit sehr wichtigen Praxisformen der Aneignung von Welt.

(Eigenes Foto Ausstellungsansichtt)

In Bottrop zeigt eine Vitrine, wie James Howell gearbeitet hat (vgl. Abbildung).

Dazu gibt es ein wunderbar gestaltetes Buch seiner Stiftung in den USA, das hilft, seine Arbeitsweise zu rekonstruieren (James Howell, London 2021)

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