Die umfassende Etel Adnan Ausstellung im Düsseldorfer K20

Lothar Adam

wird mit folgenden Worten vom Museum vorgestellt:

„Die in Beirut geborene Etel Adnan (1925–2021) war eine libanesisch-US-amerikanische Dichterin, Malerin und Philosophin. Ihr künstlerisches und literarisches Werk zeichnet sich durch einen großen und gelebten Austausch zwischen der arabischen und westlichen Welt aus. Die Ausstellung im K20 präsentiert Arbeiten aus all ihren Schaffensphasen von den 1960er-Jahren bis 2021, und würdigt damit die Vielfalt des mehr als sechs Jahrzehnte überspannenden Werks von Etel Adnan: Gemälde, Zeichnungen, Wandteppiche, Leporellos, Texte und eine große Wandarbeit aus Keramik.“

Die Ausstellung „Etel Adnan – Poesie der Farben“ lässt Bezüge zu der gerade im Düsseldorfer Kunstpalast geschlossenen und von uns ausführlich kommentierten Ausstellung „Mehr Licht“ über Ölstudien zu. Zur Erinnerung: „Natur-Studien“ entstehen häufig während der ersten Begegnung der Maler*innen mit der Natur. Ihnen haftet das Skizzenhafte, Spontane, von Aufträgen Befreite an, und sie zeigen in den glücklichsten Fällen einen neuen Blick auf die Natur.

Ähnlich wie für Paul Cézanne der Mont Sainte-Victoire zu einem zentralen Bezugspunkt seiner künstlerischen Arbeit wird, setzt sich Etel Adnan mit dem Mont Tamalpais auseinander, einem Berg, den sie direkt vom Fenster ihrer Wohnung in Marin Country (nördlich von San Francisco / USA) sieht. Über 23 Jahre hinweg entstehen Tausende von Natur-Studien in verschiedenen Maltechniken.

Ausstellungsansicht: Etel Adnan Skizzen zum Mont Tamalpais (Foto des Verfassers)

Dabei arbeitet die Malerin in den 60ger Jahre zunächst abstrakt. Auf die flach liegende Leinwand trägt sie die Farbe direkt aus der Tube mit einem Spachtel auf.

Persian, 1963-1964 Öl auf Leinwand, 38,5 x 50,5 cm Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

In späteren Schaffensphasen sind neben den Bezügen zur Natur auch die zu ihren konkreten Lebensumständen (zur arabischen Welt, zum städtischen Umfeld, dem Krieg und selbst zur Raumfahrt) erkennbar, wobei nicht selten eine rechteckige Form der Ausgangspunkt des Malprozesses ist.

Untitled, 2010-2011 Öl auf Leinwand, 25,4 x 35,2 x 2,8 cm Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf

Die Konzeption der Ausstellung ist unter der Perspektive „Studien“ auch noch in einer anderen Hinsicht ertragreich. Sie zeigt, wie sich Etel Adnan mit ihren künstlerischen Vorbildern auseinandersetzt, indem z. B. ein Bild von Klee oder Matisse neben ihre Skizzen gehängt ist. Ein Beispiel: Etel Adnan ist eine große Verehrerin von Wassily Kadinsky. So behandelt sie 1958 als Dozentin am Dominican College in San Rafael sein 1911 veröffentlichtes Buch „Über das Geistige in der Kunst“.
Die Ausstellung setzt nun Kadinskys „In Blau“ – aus den eigenen Beständen – Studien von Etel Adnan gegenüber.

Ausstellungsansicht: Wassily Kandinsky „In Blu“ (Foto des Verfassers)
Ausstellungsansicht: Etel Adnan Skizzen (Foto des Verfassers)

Auch wenn auf den ersten Blick das Nicht-Übereinstimmende ins Auge fällt, so zeigen sich nach näherer Betrachtung durchaus erkennbare Einflüsse des bewunderten Vorbilds auf die Künstlerin. V.a. in der Verwendung der Farben Rot, Gelb, Blau, der schwarzen (Kontur-) Linien und in den Andeutungen von Landschaft bzw. Atmosphärischem. Spezifisch Adnan sind das freiere Fließen der Farben und die Auflösung einer eindeutigen Raumordnung, die bei aller Fantastik bei den einzelnen Bildobjekten in dem Bild von Kandinsky in Ansätzen noch erkennbar ist.

Zum Schluss sei noch auf eine besondere Technik von Etel Adnan hingewiesen: Die Künstlerin überträgt in ein Leporello (ein ziehharmonikaartig zusammengelegtes Heft aus gefalteten Blättern) lyrische Texte bedeutender arabischer Dichter. Die Kalligrafie kommentiert dabei schon die Vorlage. In einem weiteren Schritt wird das Geschriebene durch Gemaltes ergänzt, wobei es nicht darum geht, den Inhalt schlicht zu illustrieren. In dem entstandenen Leporello treten also mehrere nach Bedeutung heischende Zeichenebenen in Konkurrenz bzw. warten auf die integrierende Deutungskraft der Betrachter*innen.

Ausstellungsansicht: Etel Adnan Leporello (Foto des Verfassers)

Die Ausstellung wird durch Filmaufnahmen zur Biografie und mit angemessenen schriftlichen Erläuterungen zu den einzelnen Bildern angereichert. In einem Kabinett liegen die von Etel Adnan verfassten Bücher aus.
Ohne zu ganz spektakulären neuen Seherlebenissen zu führen, vermag die Ausstellung unter dem Aspekt „Studien“ doch Anregungen und aufschlussreiche Einblicke in die Arbeit der „Dichterin, Malerin und Philosophin“ Etel Adnan zu geben.

Die Ausstellung ist noch zu sehen bis zum

16.07.2023

Schreibe einen Kommentar