Von Rozendaal im Essener Museum Folkwang zur „Sammlung“ im Bottroper Quadrat

Lothar Adam

21. APR 2023 – 20. AUG 2023
RAFAËL ROZENDAAL
Color, Code, Communication

Auf den ersten Blick erscheint das Hauptwerk der Ausstellung über die digitale Kunst von Rafaël Rozendaal, 81 Horizons (2020), unübersichtlich:
In einer verdunkelten großen Ausstellungshalle können die Besucher*innen sich einen individuellen Parcours an 81 Bildschirmen vorbei suchen. Da alle „Bilder“ mit genau denselben Proportionen in zwei querformatige monochrome Farbfelder unterteilt sind, kommen schnell Assoziationen an die schon im Titel angekündigte Horizontlinie auf.
(Diese digitalen Bilder entstehen aus einer nur rund 0,3 KB großen Datei, die dauerhaft in der Blockchain eingeschrieben ist).
Die unterschiedlichen Farbgebungen reizen die Phantasie, ihnen Landschaften und Wetterlagen zuzuordnen.

Die durch unsere Medienerfahrung gespeiste Erwartung, dass sich Bilder auf den Bildschirmen verändern, wird unterlaufen – was das Besondere dieser Installation ist.

Installationsansicht; Rafaël Rozendaal. Color, Code, Communication 21. April – 20. August 2023; Foto: Folkwang-Museum Essen

Die weiteren Arbeiten (darunter viele Wandgemälde) von Rozendaal sind über die gesamte Fläche des Museums verteilt, sodass die Betrachtenden mittels eines Lageplans zu einer Art Schnitzeljagd aufbrechen können.

Dem Plan ist auch zu entnehmen, dass zwei Arbeiten im Josef Albers Museum in Bottrop untergebracht sind.
Der Weg lohnt sich!

Nachdem man in dem unteren Bereich des 1. Ausstellungsraumes die LED-Wände mit der Hommage an Josef Albers, die mich eher an Leuchtreklamen erinnern, gefunden hat, kann man sich der eigenen Ausstellung des Museum, der „Sammlung“, zuwenden.

30.April 2023 – 3.September 2023
„Die Sammlung“

Hier haben die Ausstellungsmacher*innen versucht, mit den in den letzten Jahrzehnten erworbenen Werken interessante Gegenüberstellungen zu finden. Fotografien werden mit Gemälden konfrontiert, Abstraktes mit Abbildendem, Phantastisches mit Phantasiertem. Dabei werden die gewohnten Konzepte von Ausstellungen, die Werke nach Epochen, Stilen oder Malern zu sortieren, verlassen und mutig neue, überraschende Bezüge aufgedeckt.

Installationsansicht, Foto des Verfassers

Z.B. wird die Fotografie von Laurenz Berges über die Siedlung Alt-Wedau von 2010 (s. auch Bericht über dessen letzte Ausstellung im Quadrat ) einem frühen Gemälde von Victor Servranckx „Häuser im Abendlicht – Opus 15“ gegenübergesetzt. Einerseits werden dabei die Parallelen z. B. in den Kompositionen der Bilder offensichtlich, andererseits ist auch gut erkennbar, worin die wesentlichen Unterschiede zwischen Malerei und Fotografie in diesem Fall liegen. Lässt die Malerei Rückschlüsse auf den Maler zu, wird die Fotografie auch daraufhin betrachtet, inwieweit Elemente ins Bild gekommen sind, die dem Blick des Fotografen vielleicht sogar entgangen sind. Verrät das Bild z. B. etwas über die eher positive Stimmung, mit der der Maler die Häuserfassaden im Abendlicht gestaltet hat, hoffen wir in der Fotografie etwas über das abgelichtete Objekt zu erfahren. Werden die Stimmungsakzente in der Malerei durch die warmen und dunklen Farben und den Farbauftrag erzeugt, entstehen diese in der Fotografie eher durch anekdotische Konnotationen. Das Haus wirkt unbelebt, ja sogar abweisend. Der graue Himmel, die kahlen Bäume und das Laub lassen an Herbst denken. Selbst die steinerne Bank lädt nicht zum Verweilen ein. Andererseits haben das große Dach, die Rundung des Eingangstores und der große Baum am linken Bildrand etwas nostalgisch Beruhigendes. In beiden Bildern herrscht Stille, menschliches Leben ist ausgespart. Eine Stille, die die Betrachtenden vielleicht dazu einlädt, das Vor-Augen-Liegende durch Bilder und Erinnerungen anzureichern.

Nach dem Besuch der Ausstellung fiel mir in dem wunderbaren, das Museum umgebenden Park ein, dass man auch die beiden Bilder, die ich besonders schätze, hätte gegenüberhängen können.

Ulrich Erben, „o.T. (Festlegung des Unbegrenzten)“, 2015, 150 x 220 cm, Foto des Verfassers
Miles Coolidge „Coal Seam, Bergwerk Prosper-Haniel 3,2,1“; 2013 je 144,8 × 127 cm, Foto des Verfassers

Zu den Bildern von Ulrich Erben haben wir schon an anderer Stelle „Sehhilfen“ gegeben. (Hier der Link zum Nachlesen!)

Noch einige Informationen zu dem Werk von Coolidge: Die erste Überraschung könnte darin liegen, dass es sich bei dem Werk um Fotografien handelt, die mit einem Tintenstrahldrucker hergestellt worden sind. Die Pigmente, die für die Inkjet-Drucke der Kohleflöz-Fotografien verwendet wurden, bestehen aus Kohlenstoff, der aus Kohle gewonnen wird. Die erzeugte matte, samtige Oberfläche und die spürbare Textur verstärken den Trompe-L’oeil-Effekt.
Es gibt noch ein viertes Bild in der Serie, so dass der durch die Hängung möglicherweise erzeugte Eindruck, dass es sich um ein Triptychon handeln könnte, in die Irre führt.
Die vier Drucke wurden in einer einzigen eintägigen Sitzung 2013 mit einer 8 x 10-Zoll-Kamera aufgenommen und zeigen einen „aktiven Ortsbrust“ (die reale Freilegung des Kohleflözes) in der Bottroper Zeche Prosper-Haniel, dem letzten Bergwerk des Ruhrgebiets.
Miles Coolidge (* 1963 in Montreal, Quebec ) ist ein kanadisch-amerikanischer Fotograf und Kunstpädagoge, der als Professor an der University of California, Irvine lehrt. Während seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie waren seine Professoren Bernd und Hilla Becher – die als Pioniere einer unpathetischen Dokumentation von Industriearchitektur gelten.

Ich glaube, mehr muss man nicht wissen, um eine vielschichtige Rezeption der beiden Kunstwerke in Gang zu setzen. Nur eines noch: Gerade diese Kunstwerke erschließen sich erst nach längerem Betrachten.

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