Expressionismus hier und jetzt!

Die Sammlung Horn zu Gast in Dortmund

Lothar Adam

Museum Ostwall im Dortmunder U zeigt bedeutende Werke des Expressionismus im Dialog mit zeitgenössischen Arbeiten

Ernst Ludwig Kirchner Sertigweg, 1924/26, Öl auf Leinwand, 145,5 x 145,5 cm, Sammlung Horn

Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ (1906, Programm der Künstlergruppe Brücke)

Obwohl es in letzter Zeit im Ruhrgebiet eine ganze Reihe bedeutender Ausstellungen über den Expressionismus  gegeben hat, man denke nur an die großen Ausstellungen in Wuppertal und Essen, kann die aktuelle Ausstellung im Dortmunder U neue Akzente setzen – nicht zuletzt durch den Versuch, die Epoche mit einem durch die aktuelle Diskussion über Kulturgüter aus kolonialen Zusammenhängen geschärften Problembewusstsein in Blick zu nehmen. Mit dieser Intention wurden junge Künstler und Künstlerinnen vom Museum Ostwall eingeladen, durch eigenen Werken diese Epoche aus ihrer Sicht zu kommentieren.
Die Besucher*innen werden bei dem Gang entlang der hervorragenden Exemplare expressionistischer Kunst an verschiedenen Stationen mit zeitgenössischen Kunstwerken konfrontiert, die einen kritischen Blick auf die Entstehungszeit des Expressionismus und seiner Rezeption bis heute ermöglichen.

Der 1.Raum ist als Einstimmung konzipiert:
Die zentralen Themen und Motive des Expressionismus werden exemplarisch gezeigt. Dieser radikale Kunststil, der die Abbildfunktion der Malerei fast vollständig aufgibt, ist v.a. eine Rebellion gegen die Zwänge des preußischen Kaiserreiches und eine Reaktion auf die Industrialisierung und Verstädterung. Aus zwei Quellen möchten die Expressionisten Kraft für ihre Kunst schöpfen: Aus einem Neuzugang zur Natur (Stichwort „Freikörperkultur“) und aus der Faszination für das Fremde, dem vorgeblich Exotischen.

Zurück zur Natur / zum einfachen Leben

Auf der Wand gegenüber des Eingangs im 1. Raum stoßen wir direkt auf eines der meines Erachtens fesselndsten Bilder der Ausstellung:

Christian Rohlfs: Haus in Soest, 1916 , Tempera auf Leinwand, 80 x 100 cm,Sammlung Horn

Dass hier die Farbe das Interesse des Malers gefesselt hat, ist offensichtlich: Fast ein Drittel der Bildfläche füllt das Rot eines Daches. Erst nach und nach werden die weiteren Einzelheiten des Bildes erkennbar: ein Bauernhaus mit Schuppen in einer sommerlichen Atmosphäre. Relativ spät, da perspektivisch auch viel zu klein und unauffällig, können die Personen im Bildvordergrund ausgemacht werden. Ein unglaublich kräftiger Blauton, der sich nicht auf den Himmelsbereich beschränkt, kontrastiert – fast rahmend – im Zusammenspiel mit hellen Wand- und Bodentönen das dominante Rot. In leiseren Tönen begegnen sich noch Braun- und Grüntöne in der linken und v.a. in der unteren Bildzone. Haben wir es auf der einen Seite mit einer konsequenten Reduzierung von Form, Räumlichkeit und Farbe zu tun, drängen sich gleichzeitig emotionale, vielleicht sogar symbolische Konnotationen auf. Die dramatische Betonung des Rots, die bläulichen Schrägen in der rechten Bildhälfte, die dynamischen Farbstreifen, die durch Schläge mit dem Pinsel entstanden zu sein scheinen, und der aufgewühlte Himmel lassen im Zusammenhang mit dem Entstehungsjahr 1916 Assoziationen an den 1. Weltkrieg aufkommen. Und v.a. dass es gerade ein Bauernhaus in Soest ist, ansonsten ein Motiv für eine friedliche Idylle, zeigt die innere Betroffenheit, ja Bestürzung des Malers über das Kriegsgeschehen. Vielleicht steckt in dem Bild aber auch ein kleiner Trost, wenn die Menschen im Vordergrund anscheinend weiter ihrer gewohnten Arbeit nachgehen.
In der Ausstellung finden sich auch Bilder von Christian Rohlfs, die fast völlig abstrakt wirken.

Der Reiz des Exotischen

Die Nachrichten, Reiseberichte über die deutschen Kolonien im Südpazifik und in Afrika, das neu entstandene Völkerkundemuseum in Berlin, aber auch Vorführungen in Varietés, Zirkus und Theater prägten das Bild von erstrebenswerten archaischen Lebens- und Ausdrucksformen in anderen Erdteilen. Neben Emil Nolde war es aber allein Max Pechstein, der mit seiner Frau 1914 zu dem mikronesischen Inselstaat Palau reiste. Seine auch in der Ausstellung zu sehenden Reisebilder (Federzeichnungen) sowie seine Gemälde sind eine Kombination aus tatsächlichen Erlebnissen und im Nachhinein konstruierten Darstellungen und in der Regel nach seiner Rückkehr in Berlin entstanden. Er fügt in seine Bilder auch Details aus afrikanischen Ländern ein, was darauf schließen lässt, dass es Pechstein nicht um eine möglichst genaue Wiedergabe der auf Palau vorgefundenen Welt geht, sondern – nach der dem Ausbruch des Weltkrieges geschuldete unfreiwillige Abreise – um die Vision eines fernen, für ihn verlorenen Paradieses.

Mit mehr als 120 zentralen Werken , darunter Arbeiten von Kirchner, Nolde, Heckel, Mueller, Schmidt-Rottluff, gewährt die Sammlung Horn einen guten Einblick in die Bilderwelt des Expressionismus. Aber – wie gesagt – die Dortmunder Ausstellung will mehr.
Gerade an der Reise von Pechstein wird erahnbar, wie Künstlerisches mit Politischem verzahnt ist. Speziell diese Zusammenhänge versucht die Ausstellung zu verdeutlichen. Man wird aufgefordert, die bekannten kunsthistorischen Einordnungsversuche zu verlassen und um die Ecke zu denken – auch im wahrsten Sinne des Wortes.
So trifft man schon im 2. Raum auf fünf riesige Mindmaps, mittels derer Moses März die historische Komplexität des Expressionismus grafisch zu veranschaulichen versucht. Natürlich wird kein Besucher allen Verästelungen nachgehen können, doch eine Anmutung über die Bedingtheiten der historischen Zusammenhänge nimmt jeder Besucher mit.

Moses März: Kartographie des Expressionismus im Zeitalter des Tout-Monde – Karte 2 (Detail), 2023 Farbstift, Bleistift und Collagen auf Papier, 150 x 300 cm

Ein weiteres Beispiel für den Versuch, unsere Sicht des Expressionismus zu durchbrechen, sind die Videoarbeiten von Natascha A. Kelly, die auch Teil des kuratorischen Teams der Ausstellung ist. Sie erforscht das Schicksal des Schwarzen Modells Milli, welches in den Werken der Brücke-Künstler an vielen Stellen auftaucht.
Drei weitere Künstlerinnen, Anguezomo Mba Bikore, Luiza Prado und Lisa Hilli, unterbrechen und bereichern mit ihren zeitgenössische Arbeiten, die v.a. Rezeptionsgewohnheiten kritisch befragen, die Besichtigung der expressionistischen Kunstwerke.

Käthe Kollwitz: Selbstbildnis 1922, Holzschnitt, 15 x 11 cm, Sammlung Horn

Mich hat die Wiederbegegnung mit den Werken von Ernst Barlach und Käthe Kollwitz berührt: Die Aktualität ihrer Werke, die sich auf das Leid beziehen, das der 1. Weltkrieg ausgelöst hat, tut weh.

Sehr lohnenswert ist der hochwertige und qualitätsvolle Katalog!

Die Ausstellung geht noch bis zum 28.2.2024

Otto Mueller: Zwei Akte unter Bäumen, um 1920;

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