Beuys und Duchamp in Krefeld

Klaus-Peter Busse

Wenn Sie Lust haben, in einem wichtigen Kunstobjekt des 20. Jahrhunderts zu stöbern, …

… dann können Sie das Kaiser-Wilhlem-Museum in Krefeld besuchen, wo es eine fulminante Ausstellung über die Beziehungen zwischen Joseph Beuys und Marcel Duchamp zu sehen gibt, von zwei Künstlern also, die zu den wichtigen Wegbereitern des avantgardistischen Denkens und Handelns in der Kunst des 20. Jahrhunderts gehören. Die Krefelder Ausstellung gehört zu dem Reigen der Präsentationen anlässlich des 100. Geburtstags von Beuys und ist ein wichtiger Höhepunkt. Die Ausstellung geht, für die Besucher*innen sehr gut nachvollziehbar, den Beziehungen zwischen beiden Künstlern nach, die sich nicht persönlich kannten. Joseph Beuys wird aber die wichtige Ausstellung von Marcel Duchamp im Haus Lange in den 1960er-Jahren gesehen haben, an die die aktuelle Ausstellung mit historischen Dokumenten erinnert.

Diese historischen Dokumente machen einmal mehr deutlich, dass Krefeld schon sehr früh ein bedeutender Kunstort war. Hier wurden beispielsweise zum ersten Mal die Skulpturen von Cy Twombly gezeigt, lange bevor sie die Aufmerksamkeit der internationalen Kunstszene erregten. Die aktuelle Ausstellung zeigt, wie wichtig es ist, ein Museum als historische Institution in der Auseinandersetzung mit Kunst und ihren Kunstbegriffen der Öffentlichkeit vorzustellen sowie an seine Bedeutung für die Debatten um die Kunst herum zu erinnern. Das gelingt in Krefeld besonders gut, weil sich hier, unter anderem durch die Arbeit des ehemaligen Museumsdirektors Paul Wember, im örtlichen Ensemble des 1899 gegründeten Museum und der Bauwerke von Mies van der Rohe in den Häusern Lange und Esters ein räumlicher Rahmen bildete, der sich der zeitgenössischen Kunst widmen konnte.

Die Präsentation zeigt auch, wie wichtig Informationen über die Geschichte des Museums und seiner Sammlung sind, um das Anliegen der Kurator*innen von „Beuys-Duchamp“ zu verstehen. So werden in Krefeld nicht nur die Kunstobjekte in den Zusammenhängen ihrer Entstehung, sondern auch in ihrer Bedeutung für das Museum gezeigt und erklärt (was in der Sammlungspräsentation des Museums Küppersmühle fehlt – s. Kritik in „Kolumne1“!).

Zugegeben: Die Ausstellung ist keine leichte Kost, aber sie ist sehr besucherfreundlich aufgebaut und erklärt mithilfe von Schautafeln die häufig komplexen Zusammenhänge zwischen den Kunstbegriffen beider Künstler. So wird anschaulich nachvollziehbar, wie Marcel Duchamp und Joseph Beuys die Grundpfeiler der damals zeitgenössische Kunst erneuerten und sie auf diese Weise in neue Bahnen lenkten. Unter Stichworten wie Vermessung der Welt, Atelier als Labor, Reservoir oder Schachtel versus Tafel zeigen die Kurator*innen die Entstehung völlig neuer Kunstbegriffe. So hat Joseph Beuys – beispielsweise – seine Kunstvorstellungen in immer wieder neuen Vorträgen und Vorlesungen erläutert und diese auf großen schwarzen Wandtafeln mit Schulkreide festgehalten. Heute gehören diese Dokumente als Objekte zu den wichtigen Bestandteilen seines Werks. Marcel Duchamp verstand seine Notizen, in denen sein künstlerisches Denken entwickelte, auch als Bestandteile seines Kunstdiskurses. Er sammelte sie und fügte sie schließlich in Schachteln zu sammeln, die er sogar reproduzieren ließ. Ein Höhepunkt dieser Arbeitsweise war die „Boite-en-valise“, die 1941 entstand und später immer weiter entwickelt wurde.

Marcel Duchamp, De ou par Marcel Duchamp ou Rrose Sélavy (Boîte-en-valise) (Von oder durch Marcel Duchamp oder Rrose Sélavy [Schachtel im Koffer ]), (1941) 1966, Pappschachtel, mit rotem Leder bezogen, Miniaturrepliken und Farbreproduktionen der Werke Duchamps, Schachtel: 41,5 × 38,5 × 9,9 cm, 80 Reproduktionen von unterschiedlicher Größe, Serie F, Aufl. 75, nicht nummeriert, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, erworben 1980, © Association Marcel Duchamp, ADAGP, Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: bpk / Staatsgalerie Stuttgart

Hier versammelte er in einer Box die Reproduktionen seiner wichtigen Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen in sehr aufwändiger Weise. Einerseits erstellte er damit das Werkverzeichnis seiner eigenen Arbeit und sicherte zu einer Zeit sein Oeuvre, als er keine feste Heimat mehr hatte. Andererseits entstand auf diese Weise ein einzigartiges und innovatives Kunstwerk. Er entzog seinen Werken ihre Ausstellbarkeit und Musealisierung, da sie sich nun in einem Karton befanden, der überall benutzt werden konnte, wenn man in den Besitz der Schachteln und ihrer von ihm beabsichtigen Reproduktionen gelangte. Heute sind diese Schachteln oder Archivboxen selbst wichtige Kunstobjekte geworden, die in Vitrinen ausgestellt werden.

Eigenes Foto
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In der Krefelder Ausstellung gelingt den Ausstellungsmacher*innen aus meiner Sicht ein Coup in der Kunstvermittlung. Da es seit kurzem eine Replik dieser Duchamp-Box (in limitierter Auflage) gibt, öffnen sie diese Wunderkammer für Besucher*innen, die die Stellwände und Seitentafeln verschieben und in dem faksimilierten Notizen und Zeichnungen blättern können.  In der Ausstellung wird die Schachtel mit der Installation „Barraque D´Dull Odde“ (1961-1967) verglichen, in der Joseph Beuys unterschiedliche Arbeitswerkzeuge und Materialien in einem Regal und auf einem Arbeitstisch als „Reservoir“ seiner Arbeitsweise anordnete.

Joseph Beuys, Barraque DʼDull Odde, 1961–1967, 2 Regalgestelle mit über 650 Einzelobjekten, Arbeitspult mit Stuhl, 1 Gummituch + 1 Guttaperchatuch an der Wand, 3 Holzplastiken vor dem Doppelregal, 290 × 400 × 90 cm, Kunstmuseen Krefeld, Schenkung der Sammlung Helga und Walther Lauffs, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Volker Döhne / Kunstmuseen Krefeld

Diese Krefelder Arbeit kann man allerdings nur betrachten, gleichwohl aber in dem eingerichteten Studio durch eigene Versuche der Material- und Objektanordnung „nachvollziehen“. Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden gleichermaßen angesprochen und in „Aktionen“ eingebunden, zu denen die Ausstellung Lust macht. Denn eigentlich kennt jeder das, was dort gezeigt wird: das Sammeln, Ordnen und Archivieren von Gegenständen.

 

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Weitere Informationen zu Beuys finden Sie in dem Beitrag:
„Joseph Beuys: In Bewegung“

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